Mittwoch, 7. September 2016

Alles gut?!

"Du siehst aber gut aus!"
"Geht's dir gut? Du siehst so gut aus!"
"Du hast richtig schöne, rosige Wangen."
"Wenigstens siehst du fit aus. Wenn du jetzt auch noch schlecht aussähest..."
"Gut siehst du aus, hast du zugenommen?"
"Hast du abgenommen? Wenn ich doch deine Figur hätte..."
"Es gibt ja echt noch schlimmeres..."
"Es wird bestimmt bald besser. Kopf hoch!"
"Alles gut?"
So oder ähnlich lauten die Sätze Fragen, mit denen ich, und ich bin mir sicher auch noch viele andere, die an Morbus Crohn oder einer anderen chronischen Erkrankung leiden, hören. Immer wieder. Jeden Tag. An guten bzw. gelassenen Tagen habe ich dafür vielleicht ein Lächeln oder eine Antwort parat, an schlechten lassen mich die Sätze verstummen, denn sie irritieren mich. Ich frage mich, was ich anderes sagen soll, als "Alles ok, danke!", "Gut" und "Stimmt, es gibt schlimmeres...", egal, wie es mir wirklich geht. Denn eine ehrliche, evtl. längere Antwort ist eigentlich eh nicht erwünscht. Aber was bezweckt mein Gegenüber eigentlich damit? Die meisten Menschen in meinem Umfeld wissen schließlich, dass ich chronisch erkrankt bin. Was bringt es also, mir zu sagen, dass man es mir nicht ansieht, dass ich trotzdem gesund aussehe und dass es noch viel schlimmer wäre, wenn man es mir ansehen würde? Offensichtlich ist nicht jedem klar, dass man nicht krank aussehen muss, auch wenn man krank ist. Und dass viele, und leider eben auch schwere, Krankheiten unsichtbar sind und man sie eben nicht von außen sieht.


(source: https://www.facebook.com/CrohnZeugin/photos/a.550854531612377.123233.542791512418679/1260152290682594/?type=3&theater; letzter Zugriff: 6.9.2016)

Ganz ehrlich? An den meisten Tagen ist es mir inzwischen ziemlich egal wie ich aussehe. Ich versuche natürlich mich so hübsch ich kann und ohne dass ein Knopf oder eine Hose drücken, für die Arbeit fertigzumachen, klar. Aber viel wichtiger ist doch, ob ich das Haus verlassen kann. Und das ist eine Frage, die ich mir seit geraumer Zeit jeden Tag stellen muss und möglicherweise mein Leben lang stellen werde: Kann ich heute raus? Ist es mir möglich die Schmerzen, Übelkeit, Durchfall, Kreislaufprobleme und erschöpfende Müdigkeit, die zur Tagesordnung gehören, auszuhalten und zu überkommen oder mit Medikamenten in Schach zu halten, damit ich irgendwie meinem Job und Alltag nachgehen kann? 
Wenn ich diese Fragen mit "Ja!" beantworten kann, und das versuche ich so oft ich kann, denn ich lebe mein Leben immernoch richtig gerne, dann funktioniere ich fast wie jemand, der gesund ist. Ich versuche meinen Job so gut ich kann zu machen, gehe auf mein Umfeld ein, lache viel und beteilige mich gerne an Unterhaltungen, die nichts mit mir und meiner Erkrankung zu tun haben. Und genau das scheint für viele einerseits irritierend und andererseits so erfreulich zu sein, dass Kommentare oft folgen. Dabei wird außer acht gelassen, dass die "roten Wangen" oder die leichte Gewichtszunahme vom Kortison kommen könnten. Oder die Gewichtsabnahme mal wieder von einem Schub oder einfach der Tatsache, dass ich an langen Tagen kaum etwas esse, aus Sorge, mein Darm könnte sich rächen und mir Toilettengänge und Schmerzen zu unpassendster Zeit bescheren. Und wer meint, dass diese vielen Toilettengänge eigentlich wie ein 24h-Magen-Darm-Infekt sind, den er oder sie gerade hatte, dem muss ich sagen: Genau! Wie ein Magen-Darm-Infekt. Mit Erbrechen, Durchfall, Gelenkschmerzen, Müdigkeit, manchmal Fieber. Kennt man ja. Nur leider nicht nur 24h Stunden, sondern lebenslang und nicht heilbar.
Wer jetzt denkt "Ach, ich habe es doch nur gut gemeint. Dir kann man ja gar nichts recht machen", den kann ich beruhigen. Denn natürlich kann man es mir recht machen und mich unterstützen. Ich freue mich darüber, wenn andere versuchen, etwas nettes, aufbauendes, freundliches zu sagen, ohne dabei mein Äußeres, diesen Körper, der sich so oft nicht so anfühlt, wie er sollte, der nicht so aussieht, wie er sollte und nicht das macht, was er sollte, zu kommentieren. Ich freue mich darüber, wenn mir andere zuhören und wenn wir uns austauschen können. Ich freue mich, wenn meine Geduld, mein Durchhaltevermögen, mein Kampfgeist oder sonst was gelobt werden. Ich freue mich, wenn mir jemand seine Hilfe anbietet. Und ich freue mich auch, wenn einfach mal nichts gesagt wird, weil es schlichtweg manchmal nichts zu sagen gibt und weil eben ganz oft nicht "alles gut" ist. 
In diesem Sinne, wünsche ich allen woran auch immer Erkrankten eine ruhige und gelassene Woche und allen Gesunden die richtigen Worte, im nicht immer einfachen Umgang mit uns Kranken!

Eure Josie





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